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Ornament der Kupferwicklungen

Objektbezeichnung:Installation
Sachgruppe:Installation
Künstler:
Rheinsberg, Raffael
Datierung:1999
Maße:H: 253 cm, B: 438 cm
Material:Eisen
Wenn man in den Fahrstuhlbereich des Westflügels der Provinzial Hauptverwaltung kommt, wird man unweigerlich mit Arbeiten Raffael Rheinsbergs konfrontiert. Direkt gegenüber den Fahrstuhltüren ist die ganze Wand einer seiner Sammelarbeiten gewidmet, in jedem Stock, insgesamt fünfmal.
Es beginnt im Erdgeschoss mit rostigen Schuheinlagen - „die abgelaufenen Sohlen des Außendienstes“, wie es bei der Provinzial inzwischen scherzhaft im Hausjargon heißt. Tatsächlich sind es die Einlagen von Sicherheitsschuhen. Rheinsberg hatte sie in einem Aschehaufen von verbrannten Materialien gefunden, auf dem Gelände des Mercedes-Benz-Werkes in Kassel. Nun hängen diese Schuheinlagen säuberlich an der Wand eines Verwaltungsgebäudes - und geben Rätsel auf. Was waren das für Schuhe? Aus welcher Zeit? Welche Menschen trugen sie? Welche Arbeit leisteten sie und wie ging es ihnen mit ihrer Arbeit? Welche Schicksale hängen daran? Arbeitsunfälle? Wo leben oder lebten die Familien dieser Arbeiter? - Fragen, die jeder aus seinem persönlichen Horizont heraus stellen kann, individuell verschieden, aber sie drängen sich irgendwie auf, wenn man sich auf diese Wand einlässt. Und dass es sich bei den Objekten um Reste eines Haufens verbrannter Schuhe eines deutschen Großkonzerns handelt, kann der Arbeit eine weitere bedeutungsschwere Dimension verleihen.
Hier setzt die Arbeit Raffael Rheinsbergs ein. Er findet die Ausgangsmaterialien seiner Arbeiten auf irgendeinem Werksgelände, in stillgelegten Industrieruinen, auch auf der Straße - unbeachtete Abfallprodukte, deren ursprüngliche Bedeutung und Aufgabe er nutzt, um die Gegenstände einer neuen Bedeutung zuzuführen, der letztlich die Frage nach dem Woher und Wohin der Gesellschaft im globalen Kontext zugrunde liegt.
Dabei sind es bevorzugt die Hinterlassenschaften aus der Arbeitswelt, die Interesse des einstigen Formers und Gießers Rheinsberg erwecken. Der 1943 geborene Künstler lernte sein Handwerk in den 60er Jahren bei einem ehemaligen Rüstungskonzern, der MAK in Kiel-Friedrichsort, bevor er in den 70er Jahren an der Muthesius-Kunsthochschule bei Winfried Zimmermann studierte.
Sein erstes Atelier lag ganz in der Nähe der heutigen Provinzial-Hauptgeschäftsstelle: gegenüber dem Bahnhof am Sophienblatt. Hier hatte er ein ganzes Abbruchhaus zu seinem Atelier gemacht, hatte auch das Treppenhaus über vier Stockwerke mit seinen Arbeiten ausstaffiert - ganz ähnlich, wie jetzt im Provinzialgebäude. Insofern zeigt sich dort heute eine wunderbare Analogie zu Rheinsbergs berühmten „Laboratorium“ im „Museum Sophienblatt“, das längst der Abrissbirne zum Opfer gefallen ist.
Begibt man sich nun im Neubautrakt ein Stockwerk höher, wird es schwergewichtig: dicke Schrauben in verschiedenen Größen hängen dort an der Wand wie eine Werkspräsentation - und auch hier lässt sich wieder an Rheinsbergs eigene Biografie als ehemaliger Former und Gießer denken. Die Materialien dieser Arbeit wiegen so schwer, dass eigens eine Installationswand dafür eingezogen werden musste: hunderte von Schrauben hängen daran. Auch sie haben ihre spezielle Geschichte, stammen aus Herne im Ruhrgebiet, Region der Kohlezechen. Es sind zumeist Spezialschrauben für den Bergbau, in diesem Fall allerdings ohne Gebrauchsspuren, weil es Ausschussprodukte einer Fabrikproduktion sind, der Knipping-Dorn GmbH. 1991 stellte Rheinsberg erstmals zweitausend dieser Schrauben aus im Rahmen der Ruhrfestspiele Recklinghausen. Damaliger Titel der Arbeit auf einer fast zehn Meter langen Wand: „Wir sind auf der ganzen Welt zuhause“. Für die Gesamtinstallation im Provinzial-Gebäude hat Rheinsberg einen neuen, übergreifenden Titel gewählt: „Das Ornament der Schrauben“. Entsprechend heißt es im Erdgeschoss „Das Ornament der Blechsohlen“.
Im zweiten Stock folgt dann ein zufälliges Pendant zur Arbeit im Erdgeschoss: rote und graue Formen von seltsamer Form, undefinierbar zunächst. Es sind Schablonen für Schuhe aus einer stillgelegten Schuhfabrik in Dresden: „Das Ornament der Schuhschablonen“. Gerade im Hinblick auf den Titel „Ornament“ ist bemerkenswert, wie Rheinsberg in den Werkformen die Kunstform entdeckt, wie er das aufgegebene Alte zu neuen Wertigkeiten erhebt.
In der nächsten Etage wird es elektrisch: hier präsentiert Rheinsberg „Das Ornament der Kupferwicklungen“, Metallstücke, die wie geometrische Buchstaben aussehen, die aber einstmals die Kerne von Kupferwicklungen für Elektromotoren waren. Fundort ist Kiels estnische Partnerstadt Tallinn. Auch dies ist ein Exempel des Wechselspiels von Industriematerial und ästhetischer Form.
So richtig leuchtend und blinkend ästhetisch wird es aber erst ganz oben im vierten Stock. Dort scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, könnte man meinen. Aus unzähligen Uhren hängen dort die Teile an der Wand und bilden eine bunte Collage der Materialien: Zahnräder, Federn aller Größen, Montageteile von Uhren, Überbleibsel einer Schwarzwälder Uhrenfabrik. 1998 hatte Rheinsberg mit Hilfe einer Schulklasse in Rottweil eine 10 mal 12 m große Wand mit den glänzenden Teilen bestückt: „Das Ornament der Zeit“.
Jens Rönnau

Inventarnummer: 618rarh

Signatur: Gegenständlich

Abbildungsrechte: Provinzial Kunstsammlung


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