Schwarz, organisch, glattpoliert und hermetisch verschlossen ist der Kopf. Eine Art Band in der Kopfmitte schnürt diesen horizontal so ein, daß sich auf jeder Seite je zwei starke Kerben ergeben. Eine weitere dünne Linie teilt den Kopf in der Senkrechten. Eine organische Kurvatur zwischen Kinn- und Halspartie verleihen dem Bildwerk zusätzliche Spannung. Nur die strenge Gesamtform läßt an einen Schädel denken, da Augen, Ohren, Mund, Nase vollkommen fehlen. Insgesamt handelt es sich hier um eine stark abstrahierte, aber durch die verschiedenen Wölbungen gleichwohl vitale, überaus spannungsreiche Gesamtform. Die Bandage erzeugt visuell einen derart großen Druck, daß die anderen Formen gewissermaßen anschwellen und so die im Kern enthaltene, innere Energie erst deutlich zutage treten lassen. Wir haben es hier mit einem dialektischen Verhältnis von Druck der Einschnürung und Gegendruck des Anschwellens, mit der Dialektik von Organischem und Anorganischem zu tun. Man begegnet hier einem Entindividualisierten Individuum. Der Kopf als Zentrum des Geistes, der Gedanken und Handlungen, der Gefühle und Ängste, ja als Sitz der Persönlichkeit schlechthin, wird hier zum pars pro toto des Menschen, der Würde besitzt. Hede Bühls Köpfe künden, indem sie so etwas wie Unverrückbarkeit und Beständigkeit vermitteln, auf lapidare Weise vom Sein und der (bedrohten) Existenz.

Der Künstlerin gelingt es hier mit ihren besonderen Stilmitteln, ein überzeugendes Symbol des modernen, isolierten und vereinzelten Menschen zu schaffen, das durch seine Entindividualisierung etwas Allgemeingültiges besitzt und über große Ausstrahlungskraft verfügt.
Th. R.

Literatur:

• Rodiek, Thorsten / Brigitte Heise / Gerhard Gerkens / Hildegard Vogeler / Ulrich Pietsch / Susanne Peters-Schildgen: Geschenkt - Gestiftet - Gekauft, Hamburg: ConferencePoint Verlag, 2003

Inventarnummer: 1996-39

Signatur: unbezeichnet

Abbildungsrechte: Kunsthalle St. Annen

Ikonographie:

Kopf, Gesicht