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Ohne Titel

Objektbezeichnung:Gemälde
Sachgruppe:Malerei
Künstler:
Grosse, Katharina
Datierung:1996
Maße:H: 172 cm, B: 372 cm
Material:Leinwand
Technik:Öl
Vehement hat sich die Arbeit Katharina Grosses in gut eineinhalb Jahrzehnten entwickelt und vom begrenzten Tafelbild zu entgrenzenden monumentalen Farb-Raummalereien geführt. Ihr durchgängiges Thema ist Farbe und die Möglichkeiten ihrer Entfaltung, der Wunsch Farb-Präsenz mit den Mitteln der Malerei zu erreichen. Dabei soll das Zustandekommen der Farbausbreitung stets nachvollziehbar bleiben. Gut einzusehen ist der zum Bild führende Prozess angesichts der beiden hier vertretenen Arbeiten aus den neunziger Jahren. Mittels eines breiten Pinsels gemalte dünnflüssige Farbe ? in beiden Fällen eine für diese Zeit typische Zusammenstellung aus Blau, gebrochenem Gelb und Grün ? wird in flächigen Bahnen aufgetragen. Durch die Überlagerung mehrerer Farbschichten ergeben sich unterschiedliche Farbdichten und -tiefen, leichte Veränderungen oder die Ausgangsfarben aufhebende Mischungen. Ist die Ordnung des 1993 entstandenen unbetitelten Bildes noch von kurvenden Farbbahnen, von Schwung und Gegenschwung bestimmt, so ist die drei Jahre später gemalte Arbeit allein aus horizontalen und vertikalen Teilungen, senkrechten und waagerechten Streichbewegungen aufgebaut. Die Künstlerin hat stets betont, dass ihre Arbeiten trotz ihrer Strenge allein Resultate augenblicklichen, nicht geplanten Tuns sind, eines Agierens in dem Malen, Sehen und Denken ineinander greifen, „ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob etwas gut aussehen wird.“ Dabei rufe die Farbe in ihr, so sagte Grosse in dem gleichen 2002 geführten Gespräch, „eine [synästhetische] Reaktion hervor, als ob ich jemanden singen höre.“
Es geht Grosse um eine umfassende Auseinandersetzung mit gemalter Farbe. Es sollen alle ineinander greifenden, miteinander wirksamen werden Faktoren in ihrer ganzen Aspektfülle erfahrbar werden. Daraus ergibt sich ein ganzer Komplex von Fragen, Beobachtungen und Aufmerksamkeitsrückungen: Zunächst die Faktizität der Farbe, also Dichte, Farbauftrag und Richtung der Malbewegung und die Einsicht in Zahl und Art der gegeneinander durchlässigen, sich gegenseitig beeinflussenden Farbschichten. Damit korrespondieren Erscheinung und Präsens der gemalten Farbe, also die sichtbaren Töne und die sich durch Überlagerungen ergebenden Mischungen und Nuancierungen. Was auch die Temperierung der Farben mit einschließt, ihre Abkühlungen und Aufwärmungen, ihre Abhängigkeit von Nachbarschaften und ihrer Lage im Gesamtfarbgefüge. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Farbproportion, also die Frage, welche Ausbreitung erfährt eine Farbe und welche Form erhält sie, wie viel Raum wird ihr im Verhältnis zu anderen gegeben, gibt es Dominanzen oder besteht Balance? Formieren sich die Farbzonen räumlich oder bleiben sie in die Bildfläche gebunden? Das Bild kann sich öffnen wie es in der unbetitelten Arbeit von 1993 zu erleben ist, in deren Mitte ein kühles, grünliches Gelb eine lichte, sich gegen die Seiten ausbreitende Weite erzeugt. Auch die Beziehung zum Realraum, dem Raum des Betrachters spielt eine Rolle. So können die Farben, auch durch die schiere Dimension der von der Künstlerin oft genutzten Großformate, das Raumlicht zumindest in der Nähe des Bildes tönen, den Raum atmosphärisch beeinflussen. Spätestens hier kommt die physische Relation zwischen Bild und Betrachter ins Spiel. Ein panoramisch gestrecktes Format wie die fast vier Meter breite Arbeit von 1996 muss abgeschritten werden. Sehen ist verbunden mit körperlicher Aktion, zudem kommt unwillkürlich ein reflexives Moment mit hinzu, da mit der eigenen Bewegung vor dem Bild die Suche nach einem oder mehrerer geeigneten Standorten verbunden ist, Nähe oder Ferne zu prüfen sind. In diesem Prozess, der körperliche Bewegung, Sehen, Denken und Empfinden verschränkt ist nicht zuletzt die emotionale Dimension der Farbe wirksam und spürbar; zudem weist dieses komplexe Betrachten Parallelen zur Arbeit Grosses am Bild auf, vollzieht ein Stück weit ihr eingangs geschildertes Agieren nach.
Mithin initiiert die Begegnung mit dem Bild ein ganzheitliches Erleben, geht also weit über eine allein selbstbezügliche, hermetische Kunstpraxis hinaus. Dabei bewahrt das Bild als Gegenstand umfassenden Wahrnehmens stets seine Durchschaubarkeit, es bleibt kenntlich in seinem Zustandekommen, zeigt sich antiauratisch als etwas materiell Bedingtes und Gemachtes.
Jens Peter Koerver

Inventarnummer: 22kagr

Signatur: Ungegenständlich


Ikonographie:     
Abstrakte Ideen / Konzepte