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flor |
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Seit rund zwei Jahrzehnten betreibt Pia Fries in ihrer künstlerischen Arbeit eine forcierte Ausweitung dessen, was Malerei ist. Die Künstlerin nützt diverse, teilweise neu erfundene Verfahren, um die von ihr ausschließlich verwendete traditionelle Ölfarbe zu organisieren, sie auf den Farbträger zu bringen. Enorm geweitet wird das Spektrum dessen, was der Farbe, dem Farbstoff als Bildbaumaterial zugetraut, zugemutet wird. Dabei ist alles möglich, keinem Verfahren, keinem Farbton, keinem Farbzustand gilt ein besonderer Vorzug. Folgerichtig kennen die Bilder keine Hierarchien, alles ist gleich gütig, jedes Detail ist gleich berechtigter Teil eines komplexen Gefüges. Flor heißt ein 1997 entstandenen Bildes. Auskünfte sollte man von den Titeln ihrer Werke nicht erhoffen, haben sie ihre Namen doch, Damit man von ihnen reden kann, wie die Künstlerin im Gespräch mit Valerie Liebermann 1999 sagte. Anders als die fast immer erfundenen, wortklangspielerischen oder existierende Begriffe allenfalls streifenden Titel hat Flor zwei Bedeutungen. Zum einen bezeichnet es Blumenfülle und Blütenpracht. Zum anderen bezieht sich Flor auf Gewebe, meint sowohl ein zartes Gespinst wie auch die aufrecht stehenden Enden der Stofffasern bei Teppichen, etwas Greifbares also. Tatsächlich werden florale Assoziationen vom Bild selbst getragen: Leicht aus der Bildmitte gerückt und durch eine blasse, transparente Mischfarbigkeit zurückhaltend markiert bilden vier mit dünnflüssiger Farbe gemalte ausholende Bögen eine an Blütenblätter erinnernde markante Formation. Pflanzliche Reminiszenzen lassen auch die drei kleineren Gebilde unten rechts zu. Aus blauen Stielen entwickeln sich stachelig ausfransende, in Weiß übergehende Köpfe, sie gedeihen auf stumpfem Grün, überwuchern eine dunkelblaue, lagernde Form. Doch anders als jene hellen Blütenblattkonturen, die durch vier zügige Malakte mit dünnflüssigen Farben entstanden, sind diese Gewächse das Ergebnis eines allmählichen, die Ölfarbe als plastisches Material nutzenden Arbeitens. Schon der von einem wie bewachsenen, sich unter schwerer Farblast biegenden, orangebraune Stiel getragene kompakte Block aus Grün, Grau und modifiziertem Astorange rechts oben lässt sich allenfalls teilweise in mit Flor-Vorstellungen zur Deckung bringen. Gänzlich verweigern sich diese angesichts des vielgestaltigen Malereikomplexes im linken oberen Bildviertel mit seiner markanten, stoffreichen blauen Dreiecksform, seiner gelblichen Farbzunge neben einem präzisen violetten Farblinienverlauf; die Malerei spielt ihr eigenes Spiel, die Farbe formt sich wie sie will, wie die Malerin es will, sie nährt keine gegenständlichen Assoziationen, sie wird greifbar, ist selbst gegenständlich. Der Vorstellung von Blütenfülle läuft auch die Farbigkeit der Arbeit zuwider. Auch wenn der Eindruck von freundlicher Helle entsteht und verschiedene Grüns wesentlich zum Kolorit des Bildes beitragen, so untergräbt schon der genauere Blick auf diese zahlreich Grünvarianten jede Gartenbehaglichkeit. Bläulich kühl, erdig gebrochen oder trocken und verunreinigt zeigt es sich. Auch sonst herrschen, neben gedämpftem oder sich mit Weiß mischendem Blau uneindeutige, stumpfe, seltsam Gemengetöne vor. Bis hin zu Schmutz- und Schlammfarben, entfärbten Mischungen reicht das Spektrum an dessen anderem Ende mit Weiß stark aufgehelltes Rosa und ein müdes Gelb stehen. Der trotzdem herrschende Eindruck des Hellen und Lichten rührt wesentlich vom Weiß des Malgrundes her. Große Partien der Bildfläche sind, wie in allen Arbeiten von Pia Fries seit Mitte der neunziger Jahre von der Grundierung abgesehen, nicht bemalt. Sie bilden eigenwertige Areale, luminöse Weite- und Ruheräume, Pufferzonen zwischen und inmitten der malerischen Ereignisse, komplex konturierte Flächen, die, einmal in den Blick geraten, ihre Formqualitäten beweisen, indem sie, obwohl sie scheinbar ereignisloser Hintergrund, passive Lichtzuträger zu sein scheinen, doch das Auge beschäftigen und so als Widerpart und Gegengewicht des Gemalten fungieren. Farbe wird in Flor wie allen Arbeiten der Künstlerin als materielle Tatsache vor Augen gestellt, sie wird durch Fries? Malerei nicht allein als sichtbarer Ton zur Erscheinung gebracht, sie wird zugleich auch greifbar, appelliert an das Auge als Tastorgan. Höchst einfalls- und erfindungsreich wird Farbe entfaltet, gebaut, geformt und entbunden. Zu ihrer differenzierten Beschreibung wäre vor allem das Vokabular der Geomorphologie geeignet, wäre es noch am ehesten im Stande die Faltungen, Furchen, Schichtungen und Abbrüche, Flüsse und Lachen, Amalgame und Krusten sprachlich zufassen und einer Fülle, die sich vor allem aus der Nähe in ihrer ganzen Vielfalt und Detaildichte zeigt gerecht zu werden. Aus der Distanz wird der Bau, die riskante Balance des Bildes sichtbar. Zu erkennen ist wie Gewichte und Richtungen, Ausdehnungen und verschiedene Dichten, Bewegungen in Beziehung zueinander gebracht sind. Sichtbar wird auch der kontrollierte Aufbau, der präzise, gleichsam wägende Umgang mit den miteinander verknüpften, aufeinander bezogenen Farbereignissen. Weder Augenblicksexpression noch der zügig durchgearbeitete spontane Wurf - auch wenn dieser als Initial den Einstieg in die Arbeit ermöglichen mag - lassen das Bild entstehen, vielmehr ein allmähliches Heranarbeiten, ein reagierendes Setzen von Farben, Versuch und Irrtum, Korrektur eingeschlossen. Ein umfangreiches Arsenal von Strategien zur Farbhandhabung steht Pia Fries beim allmählichen Verfertigen ihrer Bilder beim Malen zur Verfügung, einem ? schon durch das Material bedingten ? langsamen Heranwachsen, einem kontrollierten Wuchern. Flor wäre spätestens hier auch als eine augenfällige Metapher für Vielfalt, Diversität der Hervorbringungen und ihr gedeihliches, auf Toleranz gegründetes Neben- und Miteinander in schöner, eigenartiger Pracht zu verstehen. Jens Peter Koerver Inventarnummer: 64pifr Signatur: Ungegenständlich
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