Die figürliche Darstellung »Schwarze Madonna« von 1913 manifestiert einen signifikanten Entwicklungsschritt im noch jungen Werk des Kieler Malers Werner Lange. In der freien, vom Naturvorbild abstrahierten Gestaltung werden aufgelöste Formen und verfremdete Farben zu den Hauptelementen des Gemäldes, die nicht dem Abbild, sondern einer subjektiv-gefühlsbetonten Interpretation des Motivs untergeordnet sind. Das Nebeneinander grob ausgeführter Farbflächen - die in ihrer geometrischen Vereinfachung und Auflösung der Form den Einfluss des Kubismus nachvollziehen lassen - bewirkt eine flächige Darstellung sowie eine groteske Verzerrung der Formen. Dennoch bleibt das figürliche Motiv erhalten, das eine Assoziation zu Darstellungsformen ikonenhafter Marienbilder bietet: Die frontal dem Betrachter gegenübergestellte Halbfigur hält auf ihrem linken Arm das Kind, das sich liebevoll der Mutter zuwendet. Ein im Hintergrund angelegtes Kreissegment deutet in einem leicht unreinen Gold einen Heiligen-Nimbus an. Insgesamt überwiegen helle Pastelltöne und warme Farben, die in ihrer - für den Expressionismus auffallenden - Zartheit mit dem religiös-metaphysischen Motiv korrespondieren. Die hellen Farben heben die, mit christlicher Bildtradition nicht konforme, Hautfarbe der »Schwarzen Madonna« hervor. Ein solcher Bruch mit tradierten Normen, der mit der Absage an bewährte Kunstformen verschränkt ist, ist Ausdruck einer künstlerischen Geisteshaltung, welche die Künstler des Expressionismus vereint. Trotz der skeptischen bis ablehnenden Haltung vieler Expressionisten gegenüber Religionen, bilden aus diesem Umfeld entliehene Motive keine Ausnahme. Unabhängig von der Glaubensfrage geht es ihnen um die Auseinandersetzung mit der Ebene des Metaphysischen und den existenziellen Aspekten des Lebens, die im Kontext der Vorstellung eines gesellschaftlichen Neubeginns gesehen werden können - einer Hoffnung auf das Ideal eines geistesbezogenen, von Nächstenliebe bewegten 'Neuen Menschen'.

(Nadine Grünewald)

Literature:

• Zeigerer, Wolfgang (Hrsg.) / Kruska, Peter (Hrsg.): Stadtgalerie Kiel - Einblicke in die Sammlung, Kiel 2013

Inventory Number: 8202

Signature: signiert und datiert (u. r.: WL 1913/1920)

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