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Kinderballett

Objektbezeichnung:Fotografie
Sachgruppe:Fotografie
Künstler:
Manninen, Tuomo
Datierung:2003
Maße:H: 100 cm, B: 100 cm
Technik:C-Print
Tuomo Manninen fotografiert seit Mitte der neunziger Jahre Menschengruppen in der ganzen Welt. Es ist ein groß angelegtes Projekt, das ihn u.a. nach Kathmandu, Riga, Helsinki, St. Petersburg, Lissabon, Ho-Chi-Minh-Stadt, Paris und Havanna führte. Der 1962 in Jyväskylä geborene Künstler lebt und arbeitet in Helsinki. International bekannt wurde er 2001 durch seinen Auftritt bei der von Harald Szeemann kuratierten Ausstellung „Plateau der Menschheit“ während der 49. Biennale von Venedig.
Dort sah das Publikum Manninens Helsinki-Bilder: Mitglieder der Akkordeon-Band der Straßenbahner, eine Gruppe von jungen Breakdancern vor dem Mannerheim-Denkmal, Schornsteinfeger hoch auf den Dächern der Stadt und eine Gruppe von Eisschwimmern am städtischen Strand. Dieses Bild hat sich vielen Besuchern der Biennale an den heißen Eröffnungstagen der Biennale im Juni 2001 ganz besonders ins Gedächtnis eingeprägt.
Der Künstler aus Finnland hatte mit seiner Arbeit einen alten ikonografischen Topos der Kunstgeschichte zu neuem Leben erweckt: das Gruppenbild, eine Bildgattung, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts in den Niederlanden in hoher Blüte stand und deren wohl berühmtestes Beispiel „Die Kompanie des Frans Banning Cocq“, besser bekannt als „Die Nachtwache“ (1642, Rijksmuseum, Amsterdam), von Rembrandt ist. Im Gegensatz zu den niederländischen Malern, deren Bilder aus einer konkreten Aufgabenstellung heraus entstanden, macht Tuomo Manninen seine Fotografien in der Regel ohne Auftrag.
Eine Ausnahme sind die beiden Gruppenfotos in der Sammlung der Provinzial. Sie verdanken ihr Entstehen dem konkreten Auftrag eines Besuchers der Biennale von Venedig. Angeregt durch eine Fotografie von Fahrradkurieren, die auf den Stufen vor der Uspenski Kathedrale von Helsinki posieren, hatte der Chef des italienischen Unternehmens Selle Royal, des weltweiten Marktführers in der Herstellung von Fahrradsätteln, die Idee, die Wände seines Stands auf der Fahrradmesse Interbike in Las Vegas mit Werken Tuomo Manninens auszustatten.
Tuomo Manninen nahm den Auftrag unter der Bedingung an, dass er in der Gestaltung völlig freie Hand habe. So entstand eine Reihe von Bildern mit Gruppen von Radfahrern in Helsinki, Hamburg und in Eckernförde, wo Manninen im Jahr der Venedig-Biennale eine Ausstellung gehabt hatte. Diese Bilder wurden trotz der Auftragsvorgabe zu Kunstwerken, weil der Künstler konsequent sein künstlerisches Konzept verwirklichte.
Am deutlichsten zeigt sich Manninens Vorgehen darin, dass das Produkt des Auftraggebers, nämlich der Fahrradsattel, auf den Bildern derart klein erscheint, dass es überhaupt nicht als Artikel der Marke Selle Royal identifizierbar ist. Ganz anders etwa verhält es sich mit einer der Fahnen, die auf dem Bild von dem Kinderballett an der Eckernförder Holzbrücke deutlich für einen bekannten Yachtversicherer wirbt.
Die eigentlichen Stars auf dem Bild sind die Kinder der örtlichen Ballettschule von Mihran Ebeyan. Das sechsköpfige Ensemble ist von Manninen so in Szene gesetzt worden, dass die Kinder glänzend in Erscheinung treten. Die Bildwirklichkeit der kleinen Stars spiegelt den Umgang des Fotografen mit seinen Akteuren. Manninens Verhalten am Set entspricht dem eines Regisseurs, der auf seine Darsteller stolz ist. Es ist bemerkenswert, mit welch ausgesuchter Höflichkeit er seine Figuren auf die „Bühne“ an der Hafenmauer holt, mit welcher Präzision er jeden einzelnen ausrichtet, ausleuchtet und in die bestmögliche Position bringt. Immer wieder spricht er seine Darsteller an, um ihre Aufmerksamkeit so zu wecken, dass sie im Moment der Betätigung des Kameraauslösers so präsent sind, dass ihre Darbietung Applaus hervorruft.
Wenn Manninen auf den Auslöser drückt, dann macht er es in dem Moment, wo seine Akteure den größten Beifall ernten können. Man sieht den Bildern an, dass der Regisseur auch der Fan seiner Stars ist. Wir, die Betrachter von Manninens Bildern, sehen die Darsteller mit seinen Augen. Der ungeteilte Beifall von Künstler und Kunstliebhabern gibt den kleinen Tänzerinnen und Tänzern das, was sie in Wirklichkeit nur in seltetenen Fällen erreichen, Anerkennung auf höchstem künstlerischem Niveau.
Der Pop-Art Künstler Andy Warhol behauptete 1968, in Zukunft werde jeder Mensch für 15 Minuten berühmt sein. Diese Vorhersage erfüllen heute Fernsehformate wie „Deutschland sucht den Superstar“, „Popstars“, „Big Brother“ oder „Star Search“. Sie bedienen bei den Zuschauern, die keine Ambitionen auf Ruhm haben, Voyeurismus und Schadenfreude. Der Preis, den die Bewerber für den schnellen Ruhm zahlen, sind häufig verletzende Kommentare von Juroren und Publikum. Die Stars für den TV-Hausgebrauch werden in der Regel genauso schnell entsorgt, wie sie aufgebaut worden sind.
Tuomo Manninens „Stars“ dagegen können sich einer dauernden Sympathie sicher sein. Das künstlerische Format Manninens garantiert ihnen lang anhaltende Anerkennung. Es ist halt alles eine Frage der Zeit.
Norbert Weber

Inventarnummer: 882tuma

Abbildungsrechte: Provinzial Kunstsammlung