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Marienberghausen

Objektbezeichnung:Grafik
Sachgruppe:Zeichnung / Grafik
Künstler:
Höller, Carsten
Ort:Mit originalem Papierrand
Datierung:1997
Maße:H: 40 cm, B: 30 cm
Papier: H: 72 cm, B: 54 cm
Material:Papier
Technik:Tintenstrahl
Carsten Höller machte 1997 einen Selbstversuch, der in einem 30 Minuten langen Videofilm mit dem Titel „Muscimol“ dokumentiert wurde. Ein Kameramann filmte ihn in einem für diese Aufnahme angemieteten Zimmer im noblen Kölner Hyatt Hotel, direkt am Rhein gelegen, mit Blick auf Dom und Altstadt. Man sieht den Künstler bei der Zubereitung von Fliegenpilzen, beim Essen der Mahlzeit und wie er sich in einem Bett niederlegt, um die Speise auf sich wirken zu lassen. Das Experiment führt offensichtlich nicht dazu, dass der Künstler berauscht ist. Die Einnahme der Pilze endet in Erschöpfung und Übelkeit.
Der Titel des Videofilmes bezieht sich auf die Substanz Muscimol, welche die halluzinogene Wirkung des Fliegenpilzes ausmacht. Oft wird angenommen, der Fliegenpilz (Amanita muscaria) sei ein besonders giftiger Pilz. Dem ist aber nicht so. Der Fliegenpilz enthält jedoch Substanzen, die besonders bei falscher Zubereitung zu Vergiftungserscheinungen führen können. Wird er allerdings richtig zubereitet und dosiert, darf er durchaus als halluzinogene Droge gelten und wird daher auch in vielen Kulturkreisen bis heute gerne konsumiert, um ein Gefühl von Glück und Unbeschwertheit zu erreichen.
Carsten Höller hat sich seit Mitte der 90er Jahre mit dem Thema Glück beschäftigt. „Glück“ hieß seine erste große Einzelausstellung 1996 im Kölner Kunstverein. Die Schau war wie ein Versuchsfeld aufgebaut, in das die Besucher einbezogen waren. Wer wollte, konnte sich in einem Massagesessel verwöhnen lassen, eine Flugmaschine benutzen, sich in einem Solar-Iglu sonnen, Glückspillen schlucken oder einen Delphin aus Kunststoff streicheln, der an den TV-Star „Flipper“ erinnerte. In einer Sendung des Deutschland Radios, Berlin 11.04.96, sagte Carsten Höller in einem Gespräch mit Adolf Stock:
„Meine zentrale These ist eigentlich die, dass ich glaube, nur wenn es möglich ist, die Funktionalität des Glücks zu verstehen, ist es auch möglich, diese Funktionalität zu überwinden und wirklich glücklich zu sein. Das wahre Glück zu finden, nämlich das Glück, das eben frei von Funktion ist, und das Glück, das eine Freiheit bedeutet, die wir in diesem Maße vielleicht noch nicht gefunden haben, wonach wir aber suchen sollten und es sicherlich auch schon tun.“
Carsten Höllers Bild „Marienberghausen“ untersucht den Fliegepilz nicht daraufhin, ob er beim Verzehr tatsächlich zum glückhaften Rausch führt, vielmehr zeigt er ihn als ein Wesen, das in Sagen, Legenden und Volksdichtungen bis auf den heutigen Tag als Glücksbringer auftritt.
„Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm,
Es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald allein
Mit dem purpurroten Mäntelein.“
So lautet die erste Strophe des Kinderlieds aus der Sammlung des Hoffmann von Fallersleben. Bis hier denkt eigentlich jeder an den Fliegenpilz. Das Ende des Liedes geht aber anders:
„Das Männlein dort auf einem Bein
Mit seinem roten Mäntelein
Und seinem schwarzen Käppelein
Kann nur die Hagebutte sein.“
Die harmlose Hagebutte ist sicherlich eine bekömmlichere Frucht für Kinder als der Fliegenpilz, wenngleich sie, wie man weiß, nicht stehen kann. Carsten Höller hat da keine Bedenken. Im Gegenteil, die ästhetische Qualität des Fliegenpilzes und das ambivalente Gefühl, das sein Anblick bei Menschen auslöst, machen diesen für ihn zum idealen Protagonisten einer Geschichte, in der sich Kind und Fliegenpilz begegnen. Höller inszeniert die Begebenheit als Foto am Fundort der Pilze, in der Nähe von Marienberghausen, einem Ort im Bergischen Land, wo einst Engelbert Humperdinck zu seiner Oper „Hänsel und Gretel“ inspiriert worden sein soll.
Man sieht einen Kinderwagen, der sich auf einer gefährlichen Abwärtsfahrt kurz vor einem quer liegenden Hindernis befindet. Der kleine Pilz im Wagen hat ein Puppenkleidchen an. Die gleiche Ausstattung sehen wir bei dem großen Pilz im Hintergrund, der „Mutter“, die entsetzt die Arme ausbreitet.
Im Gegensatz zu Hoffmann von Fallersleben gibt Carsten Höller das Ende der Geschichte nicht vor. „In der künstlerischen Arbeit geht es hauptsächlich darum, dass eine Auseinandersetzung mit Gedankenwelten möglich wird und die Entwicklung eines Gedankens zugelassen wird, ohne ihn vorzugeben.“ (Carsten Höller in: Visus, Kiel 1997)
Norbert Weber

Inventarnummer: 32caho

Signatur: Gegenständlich


Ikonographie:     
Sagen und Märchen
     
Religion / Magie