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Friesisches Thinggericht |
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Carl Ludwig Jessen gilt als nordfriesischer Heimatmaler, als verläßlicher Chronist, der authentische Eindrücke seiner Heimat und ihrer Vergangenheit festzuhalten vermochte. Seine bildnerischen Dokumente sind jedoch mit einer gewissen historischen Wachsamkeit zu betrachten, denn die vermeintliche Gegenwart, die er portätiert, steckt selbst bereits in historischer Verkleidung. Als Jessen ab den 1870er Jahren seine Hauptwerke schuf, war die nordfriesische Kultur bereits im Umbruch. Was der Künstler folglich in seinen Bildern festhält, sind Wunschbilder voller Ehrerbietung gegenüber einer besseren, vergangenen Zeit. Das Gemälde "Friesisches Thinggericht" aus dem Jahr 1875 wirkt wie eine fotografische Momentaufnahme einer realen Situation, doch tatsächlich ist es nach Einzelporträts der dargestellen Personen entstanden. Darüber hinaus handelt es sich auch nicht um ein tatsächliches Zusammentreffen eines Thinggerichts, sondern um das Arrangement der Modelle zu dieser fiktiven Situation. Alle sind gleichsam verkleidet. Jessen platziert die wirklichen Bewohner der Stadt Deezbüll im reich ausgestatteten Raum eines Friesenhauses sitzend und stehend, während sie den Worten des Versammlungsleiters lauschen. Tatsächlich können sie sich jedoch nicht zum traditionellen Thinggericht zusammengefunden haben, denn dieses war zur Zeit der Entstehung dieses Gemäldes bereits nicht mehr in Gebrauch. Es war eine überholte Form der Gerichtsbarkeit, die auf kommunaler und regionaler Ebene, abseits der offiziellen Justiz, nach festgelegten Grundsätzen Konflikte zu schlichten vermochte. Der Maler greift hier eine Tradition aus der nordfriesischen Vergangenheit auf, um die Bewohner der Gegenwart in Szene zu setzen. Die Hauptfiguren im vorderen Bereich sind Personen höheren Standes, während untergeordnete, weniger einflußreiche Bauern zu Nebenfiguren werden. Dennoch entstehen keine Konflikte in Bezug auf den gesellschaftlichen Stand der Dargestellten, weil sie sich alle im historischen Gewand wiederfinden. Das hat zu Folge, daß sie sich nicht nur veritabel portätiert erleben konnten, sondern gleichzeitig in ihrem soliden historischen Hintergrund bestärkt wußten. Das Festhalten an solch überkommenen Formen friesischen Lebens sicherte Jessen eine bestimmte Käuferschaft, inbesondere da Bilder wie das vorliegende im öffentlichen Raum der lokalen Gaststätte ausgestellt wurden und somit jederzeit für jeden sichtbar waren und auf diese Weise an hierarchische Verhältnisse gemahnen konnten. Q.: Jürgen Hoffmann: Carl Ludwig Jessen - Versuch über einen Heimatmaler, Heide 1982, S. 9-12, S. 49-51. Literatur:
Inventarnummer: 94 Signatur: bezeichnet und datiert (u. r.: C.L.Jessen, Deezbüll 1875) Abbildungsrechte: Kunsthalle zu Kiel
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