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Zirkelbrüderaltar |
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Die Angehörigen der vornehmsten Lübecker Familien verbanden sich am Ende des 14. Jahrhunderts zur Trinitätsgesellschaft, in deren Emblem ein Zirkel als Symbol der Dreifaltigkeit abgebildet war. Daher wird diese Vereinigung gemeinhin "Zirkelbruderschaft" genannt. Das Zeichen des geöffneten Zirkels in einem Kreis, das auf dem Rahmen des Altars viermal auftaucht, wurde von den Mitgliedern an einer Kette getragen, um die Zugehörigkeit zu dieser angesehenen Bruderschaft öffentlich zu dokumentieren. Sie war gekennzeichnet durch elitäres, ständisches Denken und politischen Führungsanspruch; die religiöse Zielsetzung trat dahinter zurück, obwohl die Zirkelgesellschaft durchaus auch reiche Pröven (1) spendete. 1379 schloß sie einen Verbrüderungsvertrag mit den Franziskanern, denen sich die vornehmsten Familien der Stadt verbunden fühlten, da dieser Orden im Gegensatz zu den Dominikanern enge Beziehungen zum Rat pflegte. Die Zirkelbrüder unterhielten in der Katharinenkirche eine große Kapelle links neben dem Westportal. Die vier Wappen auf den Rahmenleisten des Retabels weisen den Altar als Stiftung der Familien Meteler, von Wickede, Brömse und von Rentelen aus, die bei der Neukonstituierung der Zirkelgesellschaft 1429 im Mitgliederverzeichnis gemeinsam genannt werden. Die biographischen Daten der Stifter, die historischen Fakten zur Trinitätsgesellschaft und stilistische Gründe erlauben eine annähernde Datierung des Schreins und der Flügel in die Zeit um 1405 und 1430. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde der Altar in das Schwartauer Siechenhaus überführt. Die Zirkelbrüder wählten für den Mittelschrein ihres Altars ein für Lübeck ungewöhnliches Material. Westfälischer Sandstein wurde anstelle des üblichen Holzes verwendet und in einen Eichenkasten eingepaßt. Aus einem einzigen Steinblock sind die Motive herausgearbeitet. Die Szenenfolge beginnt rechts: Aus dem italienisch anmutenden Stadttor, geschmückt mit Christophorus, dem Schutzheiligen der Wege, tritt der kreuztragende Christus, dem Simon von Cyrene hilfreich zur Seite steht. Die nun folgende Hauptszene, der Kalvarienberg, ist rechts und links durch Fels- und Vegetationsformen abgetrennt, in die sich allerlei Getier eingenistet hat. Allein das Kreuz Christi wird dargestellt ohne die beiden Schächer. Engel fangen das herabfließende Blut in liturgischen Kelchen auf, ihre Köpfe wurden vermutlich schon zur Zeit der Reformation abgeschlagen. Rechts sind die Szenen der Grablegung und der Auferstehung übereinander angeordnet und jeweils durch einen geflochtenen Weidenzaun in sich abgegrenzt. Ein goldgestirnter blauer Himmel überwölbt das Passionsgeschehen. Die Gestaltung des Schreins erweckt den Eindruck einer Guckkastenbühne, eine Assoziation, die noch durch die skurrilen, marionettenhaft wirkenden Figuren unterstrichen wird. Dazu trägt auch die farbige Fassung bei, die wohl im 17. Jahrhundert erneuert wurde. Der Reichtum der Gestaltung zeigt sich erst bei genauerem Hinsehen in der liebevollen Ausschmückung durch erzählerische Einzelheiten, deren Bedeutung sich dem heutigen Betrachter nicht eindeutig erschließt. So mögen die Tiere, die den Kalvarienberg unterwühlen, auch ein Symbol des Bösen sein (Gephardt). Die im Gegensatz zur Lübecker Tradition gemalten Flügel der Festtagsseite, die durch plastisch modellierte Rosettenbänder in einzelne Bildfelder geteilt werden, sind später an den Mittelschrein angefügt. Sie sind dem Marienzyklus gewidmet, der im wesentlichen auf dem Lukasevangelium, den apokryphen Schriften (Protevangelium des Jakobus und Pseudomatthäus) und der Legenda aurea beruht. Die Lesefolge beginnt mit der Verkündigung oben links. Es folgt die Heimsuchung, d.h. der Besuch Marias bei ihrer Base Elisabeth, die ebenfalls schwanger ist. Marias Gang durchs Gebirge wird durch baumbestandene Berghänge an den Rändern der Szene angedeutet. - Daran schließt sich die Geburt Christi im Stall an, der nur durch die Krippe mit Ochs und Esel angedeutet wird. Kontrastiv dazu wirkt die mit chinesischen Greifenmustern geschmückte Bettdecke auf dem Lager, deren Glanz dazu dient, das außergewöhnliche Ereignis der Geburt des Herrn herauszustellen. Durch den Flechtzaun, hinter dem drei Bäume symbolhaft die Landschaft andeuten, wird die Darstellung mit dem Motiv des "Hortus conclusus", des geschlossenen Gartens, verbunden, der ein Symbol für die Jungfräulichkeit Mariens ist. Die Feierlichkeit der Szene wird durch das Genremotiv des Brei kochenden Josephs aufgelockert. - Auf der Tafel daneben drängen sich die anbetenden Heiligen Drei Könige auf kleinem Bildraum. Joseph im Hintergrund packt eilfertig die kostbaren Geschenke in einen Weidenkorb - ein Motiv, das im frühen 15. Jahrhundert verschiedentlich verwendet wird. Rechts oben beginnt die Szenenfolge mit der Darstellung Christi im Tempel, die schon in der alten Kirche als Lichterfest gefeiert wird, wie die herbeigetragene Kerze veranschaulicht. Die greise Prophetin Hanna begleitet Maria und das Kind und bringt anstelle von Maria zwei Täubchen als Opfergabe zum Altar. - Auf der Tafel daneben suchen die Eltern den zwölfjährigen Jesus im Tempel. Er sitzt im Kreise der Schriftgelehrten, in deren Büchern hebräische Schriftzeichen zu lesen sind. - An diese Szene schließt sich der Tod Mariens im Kreise der Jünger an. - Der Zyklus wird abgeschlossen durch die Erhöhung und Krönung der Gottesmutter im Himmel. Alle Szenen sind von traditionellem Goldgrund hinterfangen, die Landschaft wird nur durch einzelne Symbole angedeutet. Die Malerei besticht durch die in kostbarer Lüsterfassung (2) wiedergegebene flächenhafte Ornamentik der Gewänder. Schmuckelemente, wie Ziborienkelche und Kronen, sind rein graphisch aufgefaßt, während die Gesichter durch Farbschattierungen plastisch modelliert hervortreten. Die mittelalterliche Malerei der Rückseite ist nicht mehr erhalten. Sie wurde im 18. Jahrhundert durch eine Darstellung der Grablegung und der Auferstehung ersetzt. Der Meister des Mittelschreins hat ebenfalls die Steinreliefs im Ratzeburger Dom, in Schwerin und Anklam angefertigt. Über die Herkunft der Werkstatt ist nichts bekannt, sie mag in Westfalen (Paatz), eventuell aber auch in den Niederlanden zu suchen sein (Nieuwdorp). Die Malerei hingegen weist eindeutig auf einen westfälisch geschulten Meister hin. Die Motive orientieren sich an Conrad von Soests Wildunger Altar, ohne daß ein direkte Übernahme nachzuweisen ist. Außerdem scheint hier eine über mehrere Zwischenstufen vermittelte Kenntnis böhmischer Malerei nachzuwirken. Das Flügelretabel enthält keinerlei Maßwerk und Bekrönung, wird aber durch geschnitzte und stuckierte Rahmenleisten kostbar gestaltet. 1 Spenden in Naturalien 2 Lüsterfassung: transparenter farbiger Überzug auf Metallgrund (Blattgold oder Blattsilber) Heise/Vogeler 1993, Kat. Nr. 3 Literatur:
Inventarnummer: 1926-312 Signatur: Inschrift (Kreuzigungsszene (Schrein), Schriftband des Guten Hauptmanns: Vere filius Dei erat homo iste (Mk. 15, 39)) Abbildungsrechte: St. Annen-Museum
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