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Schlutuper Sippenaltar

Objektbezeichnung:Doppelflügelaltar
Sachgruppe:7. Altarschreine
Künstler:unbekannter Meister
Künstler:
Meister des Schlutuper Altars
Ort:Lübeck
Datierung:um 1500, Katharinenreliefe um 1480-1490, Gemälde um 1500
Maße:H: 177 cm (Flügel), B: 57,5 cm (Flügel), T: 14 cm (Flügel), H: 177 cm (Schrein), B: 116 cm (Schrein), T: 28 cm (Schrein)
Material:Eiche
Technik:geschnitzt
gefasst (Gewänder golden, fast alle mit eingepressten oder aufgemalten Mustern, Futter rot und blau; Katharinen-Reliefe: Gewänder golden, weiß, blau ohne Muster)
Öl (auf Kreidegrund)
Stil:Gotik
Das jetzt als "Schlutuper Sippenaltar" bezeichnete Retabel ist eine Zusammenstellung aus zwei verschiedenen Altären der Katharinenkirche. Die wesentlichen Teile entstammen dem Annen-Altar der Spielleute, zwei Reliefs der Flügel sind wohl aus dem Altar der Katharinenbruderschaft der Bäcker übernommen. In einem "Steinbuch" der Katharinenkirche, das Lage und Besitzer der Gräber innerhalb der Kirche verzeichnet, wird der Annen-Altar als der "spelluden altar" benannt. Die Spielleute gehörten zu den Verlehnten und waren dem Rat dienstverpflichtet, um bei den zahlreichen Festen des Rates und der Korporationen zu musizieren. Die karitative Tätigkeit war für die Spielleutevereinigung von geringerer Bedeutung, ihre Vereinigung diente eher dazu, ihre gesellschaftliche Stellung zu festigen.
Die Bruderschaft der Bäcker schloß 1443 einen Vertrag mit den Franziskanern und wählte deren Patronin Katharina als Schutzheilige. Über Form und Bildprogramm dieses Altares gibt es keine Angaben; es ist ebenfalls unbekannt, wann und aus welchem Anlaß zwei seiner Reliefs in den Annen-Altar eingefügt wurden.
Die Spielleutevereinigung verehrte die Hl. Anna und stellte sie im Kreise der Heiligen Sippe (zur Heiligen Sippe vgl. Inv. Nr. 3, Altar der Gertrudenbruderschaft) in das Zentrum des Mittelschreins. Auf der höchsten Ebene des dreistufigen Thrones sitzt Anna, auf der Thronbank zu ihren Füßen Maria mit dem Jesuskind, rechts und links unterhalb der Gottesmutter auf der niedrigsten Stufe die Töchter aus zweiter Ehe, Maria Cleophae und Maria Salome mit ihren Kindern. Somit sind die Frauengestalten pyramidal angeordnet: Einerseits wird auf diese Weise die genealogische Verzweigung aufgezeigt, zum anderen die Position der Anna als Oberhaupt der Heiligen Sippe betont. Ihre schlichte Gestaltung aber steht im Gegensatz zu der kostbaren Ausstattung der Maria, die mit dem Jesuskind das Herzstück der Familie bildet. Sie wird durch die Krone und den Bergkristall auf der Brust hervorgehoben. Die Traube, das Symbol des Lebens und der Passion Christi, unterstützt die Bedeutung der Mittelgruppe. Die Männer stehen außerhalb des heiligen Bereiches, den der Thron kennzeichnet. Wie häufig bei Darstellungen der Heiligen Sippe ist auch diese streng hierarchisch geordnete Gruppe durch Genreszenen spielender Kinder aufgelockert.

Das obere Relief des linken Flügels und das untere des rechten greifen die Annen- und Mariengeschichte wieder auf, so wie sie nach den Apokryphen und der Legenda aurea tradiert ist. Die Begegnung Annas und Joachims an der Goldenen Pforte, das Symbol der wunderbaren Empfängnis der Maria, leitet das Thema ein; im Hintergrund kündet ein Engel Joachim die Geburt einer Tochter an. Vermutlich folgten die Szenen der Geburt Mariens und die Verkündigung des Engel Gabriels. Erhalten ist die Geburt Christi mit der frohen Botschaft des Engels an die Hirten und die Verehrung des Kindes.
Die Reliefs unten links und oben rechts gehören nicht in das Bildprogramm. Daß sie hier Fremdkörper sind und nachträglich eingefügt wurden, zeigen auch die seitlichen Beschneidungen und die Vergoldung der Hintergründe, die nicht mit den Reliefs übereinstimmt. Wahrscheinlich wird unten links Katharina dargestellt, die dem Martyrium durch das mit Messern besetzte Rad unterworfen werden soll. Die Verletzten zeigen Spuren dieser Folterqual, das Rad selbst ist wohl ausgebrochen. - Schwieriger zu deuten ist die obere Szene des rechten Flügels. Säule und Opferlämmer deuten auf heidnische Kultzeremonien hin, die nach der Legenda aurea Katharina dem Kaiser Maxentius vorwirft.

Die Struktur der Sonntagsseite ist für Lübecker Altäre relativ ungewöhnlich. Anstelle einer Szenenfolge sind zwei Figuren auf den Mitteltafeln groß ins Bild gesetzt: Es handelt sich um bedeutende Persönlichkeiten des Franziskanerordens: Bonaventura (1217/18 - 1274) und Bernhardin von Siena (1380 - 1444), die 1482 und 1450 heiliggesprochen wurden. Somit wird hier ein Aspekt damals aktueller Ordensgeschichte dokumentiert.
Bonaventura, dargestellt als Kardinal, trägt den grünen Zweig mit beschriebenen Blättern, in deren Mitte sich der Gekreuzigte befindet. Dies ist ein Hinweis auf seine Schrift über den Lebensbaum Christi "lignum vitae". Die beiden linken Szenen stellen Episoden aus seinem Leben dar: Der Abgesandte des Papstes, durch gekreuzte Petrischlüssel und übereinandergesetzte Kardinalshüte als Emblem auf der Schulter gekennzeichnet, bietet ihm, der im Kreise seiner Brüder lehrt, das Würdezeichen des Kardinals an. Die Inschrift lautet: "Hyr se<n>det de pawest bonave<n>tura de<n> kardanael hot" (Hier sendet der Papst Bonaventura den Kardinalshut). Die untere Szene belegt seine Demut; er findet sich bei der Heiligen Messe der Hostie nicht würdig, bis ein Engel sie ihm reicht.

Bernhardin von Siena trägt die Strahlensonne mit dem Monogramm Christi und dem Gekreuzigten darüber, die während einer Messe über seinem Haupt erschien. In der Linken hält er ein göffnetes Buch mit den Zeilen: "Pater manyfestavi nom<in>e tuum hominib<us> quus (=quos) dedisti michi" (Vater, ich habe deinen Namen gegenüber den Menschen bezeugt, die du mir anvertraut hast). Die Mitren zu seinen Füßen deuten auf die Bistümer, die er aus Bescheidenheit ablehnte. Die Seitenszenen dokumentieren seine Wundertaten und seine Nächstenliebe. Er erweckt ertrunkene Kinder zum Leben, nach denen im Hintergrund im See gesucht wird, und heilt Blinde und Lahme. Die Inschrift benennt das Ereignis: "Hir vo<r>wecket be<r>na<r>din<us> ii ki<n>de de i maget vo<r>dr<u>cket hade" (Hier erweckt Bernhardin zwei Kinder, die ein Mädchen ertränkt hatte). Die andere Beschriftung ist nur fragmentarisch erhalten.
Diese vier Szenen belegen über die individuelle Lebensgeschichte der Heiligen hinaus die Ordenstugenden der Franziskaner: Demut und Nächstenliebe. Hier wird offensichtlich der Einfluß der Minoriten auf das Bildprogramm des Altares der Spielleute sichtbar.

Beide Tafeln der Alltagsseite fügen sich zur Ansicht einer Kapelle zusammen. Darin steht links Anna Selbdritt, die gleichsam in das Thema, dem der Schrein gewidmet ist, einführt. Rechts daneben wird die Gregorsmesse (vgl. Inv. Nr. 4, Fronleichnamsaltar) dargestellt, die die tatsächliche Gegenwart Christi bei der Heiligen Messe und die Erlösung der Seelen durch das Gebet bestätigt, deren sich die Bruderschaft durch ihre Bindung an die Kirche versicherte.

Wie die meisten der Altäre aus der Katharinenkirche ist das Retabel von mittlerem Format, während die Burgkirchenaltäre oft von imposanter Höhe sind. Die auffallend großen Flächen mit vergoldetem Preßbrokat machen auch den repräsentativen Zweck des Altares deutlich.

Heise/Vogeler 1993, Kat. Nr. 19

Literatur:
  • Milde, Carl Julius: Verzeichniss der Lübeckischen Kunstalterthümer, 1 (Inventar 1-139), Lübeck, 1855
  • Hasse, Max: Lübecker Museumsführer, I Die sakralen Werke des Mittelalters, Sankt Annen-Museum, Lübeck, 1970 (1964)
  • Denkmalrat: Die Klöster (Die Bau und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, IV), Lübeck, 1928
  • Paatz, Walter: Bernt Notke und sein Kreis (Denkmäler Deutscher Kunst), Berlin, 1939
  • Busch, Harald: Meister des Nordens. Die Altniederdeutsche Malerei 1450-1550, Hamburg, 1943 (1940)
  • Stange, Alfred: Deutsche Malerei der Gotik, VI Nordwestdeutschland in der Zeit von 1450 bis 1515, Berlin, 1954
  • Stange, Alfred: Kritisches Verzeichnis der deutschen Tafelbilder vor Dürer, I, München, 1967
  • Wittstock, Jürgen: Kirchliche Kunst des Mittelalters und der Reformationszeit. Die Sammlung im St. Annen-Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck, I (Lübecker Museumskataloge), Lübeck, 1981
  • Heise, Brigitte / Hildegard Vogeler: Die Altäre des St. Annen-Museums, Lübeck, 1993
  • Zmyslony, Monika: Die Bruderschaften in Lübeck bis zur Reformation (Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 6), Kiel, 1977
  • Albrecht, Uwe: Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur in Schleswig-Holstein, 1 Hansestadt Lübeck, St. Annen-Museum, Kiel: Verlag Ludwig, 2005
  • Schaefer, Karl: Führer durch das Museum für Kunst- und Kulturgeschichte zu Lübeck, Lübeck, 1915
  • Lotz, Wilhelm: Kunst-Topographie Deutschlands, 1: Norddeutschland (Statistik der deutschen Kunst des Mittelalters und des 16. Jahrhunderts. Mit specieller Angabe der Literatur, 1), Kassel, 1862
  • Münzenberger, E.F.A. / S. J. St. Beissel: Zur Kenntniß und Würdigung der Mittelalterlichen Altäre Deutschlands, 1, Frankfurt a.M., 1885-1890
  • Münzenberger, E.F.A. / S. J. St. Beissel: Zur Kenntniß und Würdigung der Mittelalterlichen Altäre Deutschlands, 2, Frankfurt a.M., 1895-1905
  • Beckett, Francis: Altertavler i Danmark fra den senere middelalder, Kopenhagen, 1895
  • Illigens, Everhard: Der Glaube der Väter dargestellt in den kirchlichen Altertümern Lübecks, Paderborn, 1895
  • Heise, Carl Georg: Fabelwelt des Mittelalters, Berlin, 1936
  • Busch, Harald: Von der Problematik aller Kunstforschung, in: Konsthistorisk Tidskrift, Jg.9, Heft 1-2, 1940-1941, S. 17-30
  • Forssman, Erik: Medeltida träskulptur i Dalarna (Dalarnas Hembygdsbok för 1961), Falun, 1961
  • Nordman, C. A.: Medeltida skulptur i Finland, in: Schriftenreihe der Finnischen Altertumsgesellschaft Helsinki, 62, Helsinki, 1964
  • Vogeler, Hildegard: Glanz zu Gottes Ruhm, in: Lust und Last des Trinkens in Lübeck. Beiträge zu dem Phänomen vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Hrsg. von Gerhard Gerkens und Antjekathrin Graßmann, Lübeck, 1996, S. 118-127
  • Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck: Das Schöne soll man schätzen, Lübeck, 1987
  • Roosval, Johnny: Hinrich Wylsynck, in: Nordisk Tidskrift för Bok och Biblioteksväsen, Jg.23, Nr.4, 1936, S. 181-189

Inventarnummer: 80

Signatur: Inschrift (Innenseite linker Außenflügel, oben: Hyr se[n]det de pawest bonave[n]tura de[n] kardanael hot)

Signatur: Inschrift (Innenseite rechter Außenflügel, oben: Hir vo[r]wecket be[r]na[r]din[us] ij ki[n]de[r] de i maget vo[r]dr[en]cket hade))

Signatur: Inschrift (Innenseite rechter Außenflügel, unten: Hir maket be[r]na[r]di[nus] [...])

Abbildungsrechte: St. Annen-Museum


Ikonographie:     
Heilige Sippe
     
Begegnung Anna und Joachims an der Goldenen Pforte
     
Katharina von Alexandrien
     
Geburt Christi
     
Verkündigung der Geburt Christi an die Hirten
     
Anna selbdritt
     
Gregorsmesse
     
Bonaventura
     
Bernhardin von Siena
     
Bonaventura
     
Bernhardin von Siena