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Fronleichnamsaltar |
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1393 wurde die "Heilige oder die Große Leichnamsbruderschaft" gegründet. Ihre Mitglieder, wohlhabende Kaufleute, gehörten der obersten Gesellschaftsschicht an; ihre Zahl war auf 100 begrenzt. Die Verehrung des Leibes Christi, der sich für die Menschen geopfert hat, stand im Mittelpunkt der religiösen Zielsetzung der Bruderschaft. Dieses Leitthema wird in der Hauptinschrift an der Basis des geöffneten Altares formuliert: "O SACRUM CONVIVIUM IN QUO CHRISTUS SUMITUR RECOLITUR MEMORIA PASSIONIS EIUS MENS INPLETUR GRACIA ET FUTURE GLORIE NOBIS PINGNUS DATUR - A.D. 1496" (O heiliges Gastmahl, in dem Christus genossen, die Erinnerung an sein Leiden erneuert, die Seele mit Gnade erfüllt und uns ein Unterpfand künftiger Herrlichkeit gegeben wird - Im Jahre des Herren 1496). Die Arbeit an dem aufwendigen Bruderschaftsaltar ist durch Rechnungseintragungen des Ältermannes der Bruderschaft Klaus Parkentin in den Jahren 1495 bis 1497 belegt. Die Rechnungen nennen als Gesamtsumme für den Altar 451 Mark lübisch. Im Mittelschrein der Festtagsseite ist das zentrale Anliegen der Bruderschaft ins Bild gesetzt: die Verehrung des Heiligen Leichnams. In der Legenda aurea wird in der Vita des Hl. Gregors die "ungläubige Hostienbäckerin" überliefert, die während der Meßfeier an der wahren Wandlung des von ihr gebackenen Brotes in den Leib des Herrn zweifelt. Dies Motiv wird im 15. Jahrhundert zur sogenannten Gregorsmesse erweitert: Während Papst Gregor der Große die Messe im Kreise der hohen Kleriker zelebriert, wird einer der Anwesenden vom Zweifel an der Transsubstantiation befallen. Gregor bittet für den Wankelmütigen, und darauf erscheint - nur für Gregor sichtbar - Christus in Gestalt des Schmerzensmannes auf dem Altar; aus seinen Wunden strömt das Blut in den Meßkelch. Gregor wird so - als Repräsentant des guten Papsttums - Zeuge der göttlichen Wahrheit; seiner Autorität glaubt selbst der Zweifelnde. Die Kraft seines Gebetes erlöst die verlorene Seele aus dem Fegefeuer, wie die kleine Seelenfigur links unten auf der Darstellung des Altares im Mittelschrein bezeugt. In dem Bildtypus der Gregorsmesse werden zwei Quellen miteinander verbunden: einmal das legendäre Motiv aus der Vita des Heiligen und zum anderen das hochverehrte Andachtsbild des Schmerzensmannes der Kirche S. Croce in Gerusalemme in Rom, das Gregor nach einer späteren Legende im Traum erschienen sein soll. Er soll dieses Bild mit einem langwährenden Ablaß verbunden haben, der dann auf alle Darstellungen der Gregorsmesse übertragen wurde. Die Gregorsmesse erscheint in einer Zeit, die geprägt ist von der wachsenden Kritik an der Verweltlichung des Klerus, am Ablaßwesen und der Diskussion um die wahrhafte Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Die Kirche tritt mit dieser Bildfindung den Glaubenszweifeln entschieden entgegen. Die Darstellungen der Seitenflügel, die den Holzschnitten der Lübecker Bibel von 1494 verwandt sind, stehen in typologischem Bezug zum Mittelschrein, d.h. Motive des Alten Testaments deuten auf die heilsgeschichtlichen Ereignisse des Neuen Testamentes hin, auf Chrisus als das Lamm Gottes, das für die Errettung der Menschen geopfert wird. Links oben bereitet Abraham die Opferung seines Sohnes Isaak vor, unten speisen die Juden das Passahlamm vor ihrem Aufbruch nach Ägypten. Rechts oben läßt Gott Manna auf die hungernden Juden in der Wüste regnen, unten empfängt der Priesterkönig Melchisedek Abraham mit Wein und Brot. Die Inschriften benennen die Ereignisse und geben die Bibelstellen an. Die alttestamentarischen Mahls- und Opferszenen werden interpretiert als Vorausdeutung des Altarssakraments, das in der Gregorsmesse im Mittelschrein und in der Predella thematisiert ist. - Auf der Predella, die das Altarretabel trägt, wird mit der Einsetzung des letzten Abendmahls Christi im Kreise seiner Jünger die Grundlage der gesamten theologischen Aussage des Bildprogramms gegeben. Somit spiegelt der Aufbau des Altares die Struktur des Bildprogamms. Eine Blütenbekrönung schließt das Retabel nach oben ab. Darunter steht als Leitsatz für alle Szenen der Festtagsseite die erste Strophe des Offiziums, das Thomas von Aquin für das Fronleichnamsfest zusammengestellt hat. Darin werden drei der alttestamentarischen Szenen genannt, so daß die Flügelreliefs eine Verbildlichung dieses Offiziums sind. Die acht Tafeln der Innenseiten sind noch einmal der Eucharistiefeier und dem Altarpatron Johannes dem Evangelisten gewidmet. Die vier inneren variieren das typologische Programm der Vorderseite: Links oben wird die Gregorsmesse in anderer Gestalt wiederholt. Der heilige Papst erhebt die Hostie. Sie verschmilzt mit dem Schmerzensmann auf dem im Bilde dargestellten Altar. Ihn umgeben die Passionswerkzeuge, die arma Christi, die seine Leiden vergegenwärtigen: das Schwert, mit dem Petrus bei der Gefangennahme einem Häscher das Ohr abschlägt, der Hahn, der bei der Verleugnung Petri dreimal kräht, die Geißelwerkzeuge, das Kreuz, die Nägel, der Essigschwamm sowie Leiter und Zange, die auf die Kreuzabnahme hinweisen. In dieser Darstellung wird der Errettung der Seelen durch die Kraft des Gebetes breiter Raum gegeben; aus dem Fegefeuer tragen Engel die Erlösten empor. Auf der Tafel rechts wird das Abendmahl an die Gemeinde ausgeteilt. Die Kommunikanten tragen zeitgenössische Tracht; so daß sich die Bruderschaftsmitglieder mit ihnen identifizieren konnten. Auf der unteren linken Tafel ist die alttestamentarische Szene der Speisung des Elias zu sehen. Während der Flucht stärkt ein Engel den schlafenden Propheten mit himmlischem Brot und Wasser und ermöglicht ihm so - wie im Hintergrunde dargestellt - den Aufstieg zum Berge Horeb, auf dem ihm Gott in den Urgewalten der Elemente begegnet. Auf der rechten Tafel ist das prunkvolle Gastmahl des mächtigen Königs Ahasverus aus dem Buch Esther dargestellt, das er den Höchsten und Geringsten seines Reiches ausrichtet. Dabei stellt er all seinen Reichtum zur Schau. In einer Antiphon der Fronleichnamsoktav, d.h. in Wechselgesängen zur Nachfeier des Fronleichnamsfestes, wird dieses Gastmahl besungen, somit auch als Hinweis auf das Abendmahl interpretiert. Der Maler Wilm Dedeke verlegt die Feierlichkeiten in die eigene Zeit: Die Aufstellung der Prunkgefäße hinter den vornehmsten Gästen und die Musikanten sind nicht nur eine Verbildlichung des Textes, sondern spiegeln auch mittelalterliches Festritual. Die vier äußeren Tafeln sind dem Altarpatron Johannes dem Evangelisten gewidmet, der beim letzten Abendmahl als Lieblingsjünger an der Brust Christi ruht, wie auf der Predella dargestellt. Die obere linke Szene zeigt den Heiligen als Prediger in Ephesus. Im Mittelgrund wird er in siedendem Öl gemartert. Zwei Engel führen ihn im Hintergrund zu der sterbenden Gottesmutter in die Mauern von Jerusalem. Die rechte obere Tafel stellt den Heiligen dar, der, von göttlichem Geist inspiriert, in der Verbannung die Apokalypse schreibt. Neben ihm sitzt der Adler, das Symbol, das ihn als Evangelisten kennzeichnet. Im Hintergrund wird er gefesselt nach Patmos eingeschifft. Links unten erweckt Johannes Drusiana, die während seiner Abwesenheit die Gemeinde in Ephesus betreut und kurz vor seiner Rückkehr stirbt. In der Hintergrundszene segnet der Heilige den Giftbecher, den er auf Geheiß der Priester des Artemistempels leeren soll. Die achte Tafel ist der letzten Messe des Hl. Johannes gewidmet. Nach der Legenda aurea dankt er dem Herrn mit folgenden Worten: "Herr Jesus Christus, siehe, geladen zu Deinem Gastmahl komme ich und sage Dir Dank, da Du mich gewürdigt hast, mich zu Deinem Mahl zu laden." Danach steigt er, von göttlichem Licht umstrahlt und von himmlischem Manna umgeben, in das vorbereitete Grab. So fügt diese letzte Szene die Geschichte des Altarpatrons Johannes in das Hauptmotiv der eucharistischen Mahlszenen ein. Damit werden beide Themenbereiche des Altares zu einem geschlossenen Bildprogramm verwoben, das den Leitgedanken der Erlösung durch den Opfertod Christi in allen Ansichten thematisiert. Von der Alltagsseite sind nur noch drei Tafeln mit Großfiguren erhalten: Christus, Johannes und Maria Magdalena. Das Motiv des Kelches der Eucharistiefeier wird hier dreifach variiert: als Hostienkelch, als Giftbecher und als Salbgefäß. Der Bedeutung der Bruderschaft und dem komplexen Programm entspricht die aufwendige Ausstattung des Altares. Die Fronleichnamsbrüder verpflichteten für die Gestaltung namhafte Künstler: Henning van der Heide, einen Schüler Bernt Notkes, und Wilm Dedeke, ein Mitglied des Hamburger Maleramts; beide sind durch weitere herausragende Arbeiten in Lübeck vertreten. Die Qualität der Schnitzarbeit des Mittelschreins hebt den Altar über andere Lübecker Werke hinaus. Henning van der Heide erweckt durch die Komposition des Reliefs und die Ausführung der Einzelfiguren die Illusion von Tiefenräumlichkeit und Volumen. Körper, Gewänder und Bewegung sind organisch gestaltet. Die Flügelszenen, offensichtlich von Gesellen gefertigt, erreichen dieses Niveau nicht. Ebenso qualitätvoll wie die Arbeit Henning van der Heides ist die Malerei der Sonntagsansicht. Wim Dedeke beherrscht die Einbindung der Gestalten in die Landschaft und vor allem die Wiedergabe differenzierter Stofflichkeit. Die Kostbarkeit seiner Malerei zeigt sich in den leuchtenden Farben, die wiederum die sorgsam durchdachte Bildaussage unterstreichen. Heise/Vogeler 1993, Kat. Nr. 13 Literatur:
Inventarnummer: 4 Signatur: Inschrift (an der Basis des geöffneten Altars: O SACRUM CONVIVIUM IN QUO CHRISTUS SUMITUR RECOLITUR MEMORIA PASSIONIS EIUS MENS INPLETUR GRACIA ET FUTURE GLORIE NOBIS PINGNUS DATUR - A.D. 1496) Signatur: Inschrift (linker Flügel oben: In figuris presignatur cu[m] ysaac yn [molatur]) Signatur: Inschrift (linker Flügel Mitte: AGNVS PASCE DEPVTA / TVR EXODI 12°) Signatur: Inschrift (rechter Flügel oben: Datur manna patribus - Exod 16°) Signatur: Inschrift (rechter Flügel Mitte: MELCHISEDECH PANEM / OFFERT GENESI 14°) Abbildungsrechte: St. Annen-Museum
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