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Passionsaltar (sog. Greveradenaltar) |
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Der Memling-Altar ist der berühmteste und kostbarste Altar in Lübeck. Er wurde von der wohlhabenden Lübecker Kaufmannsfamilie Greverade, die internationale Handelsverbindungen pflegte, für ihre Familienkapelle gestiftet. Ob der Auftraggeber Adolf Greverade oder sein Bruder Heinrich war, ist nicht mit Sicherheit zu klären. Adolf übte zunächst den Beruf des Kaufmanns in Lübeck aus, später wurde er Pfarrer zu Löwen in Brabant und ab 1497 Domherr zu Lübeck. Sein Bruder Heinrich war lange Zeit im Brügger Hansekontor tätig. In Brügge wurde der Auftrag für die "neue schöne Tafel" an Hans Memling gegeben, der als Schüler Rogier van der Weydens großes Ansehen genoß. Mit dem Entschluß, den Altar in den Niederlanden und nicht in heimischen Werkstätten fertigen zu lassen, demonstrierte die Familie ihr Weltbürgertum. Der Altar wurde vermutlich zunächst in der Greveradenkapelle der Marienkirche aufgestellt, in der 1494 die Familie eine Vikarie eingerichtet hatte. Wo der Altar in der Zwischenzeit, nach der Fertigstellung 1491, aufbewahrt wurde, ist nicht bekannt. Das Altarprogramm spricht dafür, daß er von Beginn an für den Dom gedacht war. Vielleicht zögerte der Auftraggeber, das kostbare Werk dem Dom anzuvertrauen, der nach dem Tode des Bischofs Krummedik in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten war. Erst aus dem Nachlaß des verstorbenen Adolf Greverade wurde 1504 die Vikarie im Dom eingerichtet und der Altar dort aufgestellt. Auch Heinrich war zu diesem Zeitpunkt bereits gestorben. Das Retabel blieb bis 1939 in der Greveradenkapelle und wurde während des Krieges verpackt unter den Türmen aufbewahrt, so daß es in der Bombennacht 1942 schnell ausgelagert werden konnte. Beide Vikarien der Familie Greverade, die in der Marienkirche wie die im Dom, waren dem Heiligen Kreuz gewidmet. Die Festtagsansicht stellt dem Titel der Vikarie entsprechend die Passion Christi dar, wobei der Erlösertod des Heilands die ganze Mitteltafel ausfüllt. Alle Ereignisse der Leidensgeschichte werden in kleinen Szenen aneinandergereiht. Die chronologische Ordnung ergibt sich durch die Leserichtung: Der Erzählfluß läuft auf dem linken Flügel von oben nach unten, über die Mitteltafel und auf dem rechten Seitenflügel von unten nach oben. Immer wiederkehrende Figuren, wie z.B. Pontius Pilatus oder Maria Magdalena, machen deutlich, daß die in Zusammenschau dargestellten Ereignisse nacheinander ablaufen. Die unterschiedlichen Größenverhältnisse führen den Blick auf der linken Seite aus der Tiefe nach vorn, auf dem rechten Flügel wieder weit in den Raum hinein. Der Betrachter sieht von einem erhöhten Standpunkt auf die Szenen, die in Architektur und Landschaft eingebettet sind. Am oberen Bildrand des linken Flügels erhebt sich außerhalb der Stadt der Ölberg mit dem Garten Gethsemane, in dem Christus betet, während die Jünger schlafen. Am Fuße des Berges wird er nach dem Verrat des Judas gefangen genommen. Petrus schlägt Malchus dabei das Ohr ab. Die weiteren Szenen spielen im Innern der Stadt. Von Häschern wird Christus durch das obere Stadttor zum Hause des Annas geführt. Die Verleumdung Petri ist weitgehend durch die Dachkonstruktion der davorliegenden Häuser verdeckt; nur zwei Köpfe und ein Hahn im Fenster des linken Turmes weisen darauf hin. Der Palast gegenüber ist der des Pilatus, in dessen Hof die Geißelung und die Dornenkrönung vollzogen werden. Im Pavillon davor wäscht Pilatus seine Hände, und Christus wird dem Volk als Leidender vorgeführt (Ecce homo). Über ein Drittel der linken Tafel wird von der Szene der Kreuztragung eingenommen. Das Licht fällt auf einen modisch gekleideten Häscher, der tänzelnd Christus an einem Strick hinter sich herzieht. Dennoch beherrscht die auffallend große, graue Gestalt Christi die Szene. Das buntscheckige Volk, Pontius Pilatus und die Soldaten, die durch das Stadttor ziehen, heben durch den Farbkontrast die zentrale Figur noch einmal hervor. Links daneben kniet betend der Stifter in schlichter weltlicher Tracht. Die Kreuzigungsszene füllt die ganze Mitteltafel. Aus seiner erhöhten Position blickt der Betrachter in den Vordergrund, der wie ein halbkreisförmiger Vorhof zu der Hauptszene im Mittelgrund führt. Die Schädelknochen im Zentrum gemahnen an Adam und seine Sündhaftigkeit. Die Tafel ist so konzipiert, daß sich alle Kompositionslinien auf das Kreuz Christi beziehen und die Einzelgruppen miteinander verbunden werden. Das ausgewogene System der Farbverteilung trägt weiterhin zur Zusammenschau der vielfigurigen Szene bei. Das Kreuz mit der fahlen Gestalt Christi und die der Schächer ragen hoch aus der dichten Menschenmenge auf, die sich wie auf einem Band im Mittelgrund zusammendrängt. Zwei kleine Gruppen unter den anderen Kreuzen sind nicht zur Mitte ausgerichtet: Unter dem guten Schächer zur Rechten Christi sind drei Männerköpfe zu sehen, die, den Blick zum Betrachter wendend, die Vermutung nahelegen, daß es sich um Portraits handelt. Die Genreszene am rechten Rand, das Kind, das mit einem Affen scherzt, der hinter einem prunkvoll gekleideten Reiter sitzt, mag Sinnbild menschlicher Torheit und des in Sünde verstrickten Menschen sein, der der Erlösung durch den Opfertod Christi bedarf. Oberhalb der Menge staffelt sich die hügelige Landschaft in der traditionellen Stufung von Braun, Grün, Blau in die Tiefe. Die Architektur führt die Stadtansicht des linken Altarflügels weiter und richtet den Blick vom Mittel- zum Hintergrund. Die Lichtführung ist nach dramatischen, nicht nach realistischen Prinzipien gestaltet. Eine Wolke, die Mond und Sonne verdunkelt, nicht aber die Landschaft, steht über dem Geschehen und zieht auf die beiden Seitenflügel hinüber. Der rechte Flügel zeigt hintereinandergestaffelte Szenen, die durch die Führung des Weges lose miteinander verbunden sind und, ungeachtet ihrer Bedeutung, nach hinten immer kleiner werden. Im Vordergrund wird Christus von Nikodemus zu Grabe getragen, begleitet von Maria Magdalena und einer der Marien. Das geöffnete Gefäß mag eine Vorausdeutung der Auferstehung sein, die groß im Mittelpunkt der Tafel zu sehen ist; durch das leuchtend rote Gewand des Auferstandenen und das Weiß des Engels ist sie optisch ins Zentrum gerückt. Alle weiteren Szenen sind dagegen sehr klein dargestellt: die Begegnung Maria Magdalenas mit Christus im Garten, die Marien auf dem Weg zur Salbung, der ungläubige Thomas, der innerhalb des Hauses am rechten Bildrand die Finger in die Seitenwunde Christi legt, der Gang nach Emmaus, das Emmausmahl in dem burgähnlichen Gebäude auf dem Hügel, die Begegnung von Petrus und Christus am See Tiberias. Selbst die Himmelfahrt, obwohl von zentraler Bedeutung im Heilsgeschehen, ist nur als winzige Darstellung am linken oberen Rand zu sehen. Die Jünger und Maria auf dem Berge recken die Hände zu Christus empor, der in einer Gloriole in den Wolken schwebt. Als Hoffnungszeichen geht über dem See die Sonne auf. Die Tafeln der zweiten Ansicht sind den Heiligen Blasius, Johannes dem Täufer, Hieronymus und Aegidius gewidmet. Die angedeutete Architektur schafft die intime Atmosphäre einer Privatkapelle, für die dieser Altar gleichsam gedacht war. Der langgestreckte, schmale Kapellenraum wird seitlich durch zwei Rundfenster beleuchtet, die Mitte durch zwei spitzbogige Zwillingsfenster betont. Die Stufe, die in den Raum hineinführt, hebt vor allem die vier Figuren empor, die unmmittelbar in der vorderen Bildebene stehen. Das typisch mittelalterliche Fliesenmuster führt den Blick in die dunkle Tiefe. Die Tatsache, daß hier die Patrone des Domes und der Familienheilige Hieronymus miteinander vereint sind, weist darauf hin, daß das Retabel offensichtlich für den Dom gedacht war. Der Dompatron Blasius ist in reich verziertem Ornat mit seinen Attributen, der Kerze und dem Wollkamm, dargestellt. Ihm zur Seite steht Johannes der Täufer, der Hauptpatron des Domes, der auf das Lamm Gottes weist. Hieronymus zieht einen Dorn aus der Pfote des Löwen, so wie es in der Legende berichtet wird. Die Wahl des Aegidius mit seinem Attribut, der Hirschkuh, ist nicht eindeutig zu erklären, vermutlich wird durch ihn der Bezug zu der nahegelegenen Pfarrkirche St. Aegidius hergestellt, die unter dem Einfluß des Domes stand. Die kleine Statuette Johannes' des Täufers im Krummstab des Heiligen verstärkt diese Annahme. Im Gegensatz zu der leuchtenden Farbigkeit der Passionsszene auf der Festtagsseite herrschen hier gedämpfte Töne vor; selbst das Rot und Grün des Gewandes des Johannes und des Hieronymus sind in diese warmtonige Farbwelt eingebunden. Ganz zurückgenommen ist die Farbigkeit der Alltags- oder Fastenseite, die das zentrale Fest der Fastenzeit, die Verkündigung an Maria, zeigt. Maria und der Engel werden durch die Grisaillemalerei wie Steinbildwerke aufgefaßt und folgerichtig auf Sockel in Nischen gestellt. Vor diese "Statuen" hat der Maler ein Tongefäß mit blauer Iris und weißen Lilien, den Symbolen Mariens, gesetzt und spielt damit den optischen Reiz des Gegensatzes einer natürlichen und einer steinernen Welt aus. Der Lübecker Passionsaltar ist die letzte große Arbeit des Malers. Abweichend von seinen anderen Werken hat Memling hier den Altar mit zwei Flügelpaaren ausgestattet, wohl auf den Wunsch des Auftraggebers hin, der die die Lübecker Tradtition in dieser Hinsicht wahren wollte. Daß jedoch alle Wandlungen, auch die Festtagsseite, gemalt sind, ist ein Merkmal flandrischer Altäre. Der Greveraden-Altar vereint alle typischen Merkmale Memlingscher Kunst: Die für den Maler charakteristischen Einzelstudien und kleinformatigen Bilder werden hier in einer großangelegten Komposition miteinander verbunden. Wohl kalkulierte Kompositionslinien fügen die Stationen der Passion zu einer Einheit zusammen, und dennoch wahrt jede Szene, jede Person ihren Eigenwert. Memlings Werk ist vor allem von der Schönlinigkeit, der Kostbarkeit der Farbe und der Brillanz des Stofflichen geprägt. So tritt selbst in der dramatischen Szene der Kreuzigung das Leid hinter der schönen Form zurück. Alle Gesten sind gemäßigt, wirken oft stilisiert, entbehren des Ausdrucks echten Leidens und der dynamischen Kraft der Realität, wie sie in den Werken seiner großen Vorgänger, der Gebrüder van Eyck und Rogier von der Weyden, zu spüren ist. Mit Memling geht diese glanzvolle Epoche der altniederländischen Malerei zuende. Heise/Vogeler 1993, Kat.Nr. 5 Literatur:
Inventarnummer: 1948-138 Signatur: datiert (auf dem Rahmen der Mitteltafel: 1491) Abbildungsrechte: St. Annen-Museum
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